Als ihm klar wurde, dass er dazu bestimmt war, allein zu bleiben in dieser fremden Welt der Menschen, verlor er langsam seine Scheu und wurde zahm. Was hatte er denn auch zu verlieren außer sein Leben, an dem er nie hing und dass sich nun schon so lange hinzieht. Die Menschen waren gut zu ihm, sie fütterten ihn und sie sprachen zu ihm. Sie erzählten ihm Dinge, die er nicht verstand. Genauso wie er spürte, dass sie vom Leben eines Vogels nichts verstanden. Auch wenn er ihre Worte nicht versteht, so liebt er doch ihre Gesellschaft, die alles ist, was ihm bleibt.
Er zeigt uns eine große Voliere, in der er zur Welt kam, hinter Gittern. Die Vögel zwitscherten laut und verzweifelt und flatterten hektisch auf dem engen Raum umher und es war dort bereits schlimm. Er wusste dort bereits, dass etwas nicht stimmte mit diesem Leben, doch es kam noch schlimmer, als er aus dieser Voliere herausgeholt wurde und sich alleine wiederfand.
Die Angst ging vorbei nach einer endlos scheinenden Zeit, die Verzweiflung ging vorbei und auch die Resignation. Nach und nach verlor er die Träume, die ihn nachts noch frei mit anderen Vögeln unter dem weiten Himmel umherfliegen ließen und schließlich verlor er Teile seines Gefieders. Sein kleines Herz wurde hart wie Stein, damit er alles ertragen konnte und er begann zu warten, dass sein Körper seine Seele freigibt und er endlich wieder frei fliegen darf.
Er ist sich seines Wesens als Vogel ganz und gar bewusst. Wir spüren eine besondere Leichtigkeit ums Herz, die Vögeln innewohnt. Er ist noch ein Vogel, aber er hat sein Herz verschlossen. Er hat sich abgefunden mit seinem Schicksal und seine Hoffnung ist schon vor langer Zeit gestorben. Und doch weiß er noch um seine Natur, um das, was das Leben eines Kanarienvogels eigentlich ausmachen sollte.
Sein Tag verläuft nach einem festen Plan. Phasen des Trubels und der Ruhe wechseln sich ab. „Auch wenn es manchmal sehr hektisch zugeht, so vergessen sie doch nicht mir noch eine liebes Wort zuzurufen, bevor sie weg sind.“ Im Dunkel der Nacht begibt er sich im Schlaf auf Reisen. „Ich kann mit meinen Gedanken reisen wohin ich will. Ich fliege in meinen Träumen, Ich fliege und gleite, fühle mich jung und bin ein Meister der Lüfte.“ Manchmal träumt er noch davon wie es ist, mit einem anderen Vogel durch die Lüfte zu fliegen. Die Vorstellung von einem Vogelfreund macht ihn traurig. In seiner Vorstellung ist es toll, jemanden zu haben, mit dem man um die Wette fliegen kann, mit dem man seinen Käfig teilt, mit dem man den Rhythmus des Tages teilt. Für ihn sind die Menschen der Ersatz geworden, aber sie können eben auch nicht alles so wahrnehmen wie er. Vieles verstehen sie nicht oder sehen es nicht. „Ich glaube ihr Menschen seid euch gar nicht bewusst, was Zeit überhaupt ist. Dieses Zusammentreffen von Farbe, Licht, Energie. Man kann die Zeit sehen und hören. Und jeder Moment sieht anders aus, hört und fühlt sich anders an.“
Er mag es nicht, wenn der Tag zu eintönig wird, wenn niemand kommt und ihn aus seinem Käfig holt. Er braucht die Abwechslung, die Bewegung außerhalb seines Käfigs. Er braucht die Gesellschaft seiner Menschen, an die er sich so gewöhnt hat. Er freut sich über den Trubel nachmittags, den Kontrast zum Vormittag, die Anwesenheit der Menschen. Er möchte gesehen werden. Er ist anpassungsfähig und flexibel, solange er nur ein Teil von etwas ist. Das Gefühl dazuzugehören ist ihm wichtig. Er ist es gewohnt ohne Artgenossen zu sein, dafür möchte er aber an der Seite seiner Menschen sein.
Er lebt schon so lange in seinem Käfig, dass er gar nichts anderes kennt. Dies ist sein Zuhause, er darf auch raus in die Wohnung. Aber raus ins Freie kann er sich nicht mehr vorstellen. Wo sollte er da hin? „Ich hatte nie die Hoffnung, dass sie mich freilassen würden. Mir war klar, dass sie es nicht konnten, auch wenn ich nicht weiß, warum. Ein Vogel gehört nicht hinter Gitterstäbe und ein Vogel gehört in kein Zimmer, sondern unter das Dach des Himmels, das ist meine Botschaft und meine letzte Bitte ist, tragt sie hinaus in die Welt! Bitte sagt es den Menschen, wenn sie es sind, die uns in Käfige sperren, das dürfen sie nicht tun, das dürfen sie uns Vögeln bitte nicht antun.“ Er sagt das ohne Wut auf die Menschen, als hätte er immer noch nicht wirklich realisiert, dass sie verantwortlich für sein Schicksal sind. Er ist nicht gram mit den Menschen, bei denen er lebte. Es ist, als wüsste er intuitiv, dass sie es nicht böse mit ihm meinten. Seine Bitte richtet sich nicht an die Menschen in seinem Leben, sondern an die Menschen allgemein. Wir bedanken uns bei Hansi für das Gespräch und entschuldigen uns stellvertretend für die Menschen, die Vögel in Käfige sperren doch er schüttelt nur leicht den Kopf und sinkt in sich zusammen, versinkt wieder in der Einsamkeit seiner Gefangenschaft und träumt nicht mehr vom Fliegen, sondern vom Sterben. „Es tat gut, mit euch zu sprechen. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, verstanden zu werden. Ich hoffe, jetzt darf ich bald sterben und fortfliegen aus dieser Welt.“