· 

Aus dem Leben eines ehemaligen Reitschulpferdes

 

Wie verbringst Du Deine Tage und Nächte?

 

„Ich gehe mit dem Rhythmus. Es gibt zwei Sorten von Rhythmus: den natürlichen Rhythmus und den Tagesrhythmus. Auf der Weide kann ich den natürlichen Rhythmus leben. Es gibt Zeiten zum Ruhen, Dösen und Schlafen, Zeiten zum umherstreifen und grasen und Zeiten zum Stehen und Heu fressen, Zeiten für Fellpflege. Alles fließt ineinander und wechselt sich ab. Mit dem Rhythmus der Natur zu gehen entspannt. Dann gibt es noch den Tagesrhythmus. Der ist von Menschen gemacht und schert sich nicht um die natürlichen Zeiten, jedenfalls nicht die der Pferde. Ich war in einem Reitstall, da war dieser Rhythmus extrem: feste Fütterungszeiten, Arbeitszeiten im Reitunterricht - auch während der eigentlichen Ruhezeit wenn ich müde war, das interessierte nicht. Und nachts, in der eigentlich dynamischsten Zeit, waren wir immer eingesperrt und zur Bewegungslosigkeit verdammt.

Jetzt genieße ich mein Leben, die Freiheit auf der großen Weide, das Umherstreifen mit der Herde, das saftige Gras. Ich kann mich nun an allen Dingen erfreuen. Ich bin groß und trage eine Schönheit in mir, die ich mir nun auch gestatte wahrzunehmen. Ich durfte mein Wesen in den letzten Jahren selbst kennen und auch lieben lernen. Jetzt sauge ich das Leben in mich auf. Jeder Tag ist neu und schön. Ich kann unbeschwert nach Herzenslust galoppieren, der Wind weht mir um die Nase und spielt mit meiner Mähne.

Ich habe einen Menschen, der mich liebt. Ich werde wirklich wahrgenommen und geliebt. Die Zeit mit meinem Menschen ist mir wichtig, ich genieße diese Gefühle, die mir entgegengebracht werden. Mir war nicht klar, dass Freundschaft zwischen Mensch und Tier möglich sein kann.“

 

Wie hast du deine Zeit als Reitschulpferd empfunden?

 

Die Bilder wechseln schlagartig. Sie steht in einer Box, frisst Stroh und wartet. Sie sieht wie andere Pferde aus der Box geholt werden. Wie Kinder schreien und voller Vorfreude sind, die sie und auch die anderen Pferde nicht teilen können. Für sie ist es nur ein weiterer Tag voll Arbeit, der damit enden wird eine Ration Hafer zu bekommen und zu schlafen. Mehrmals am Tag muss sie ran, wird gestriegelt gesattelt, dann wird an ihr herumgezogen und gezerrt. Sie hat nichts gegen Kinder, aber sie versteht nicht, dass sie sie nie wirklich wahrnehmen. Sie wird ausgebunden, ihr Körper schmerzt, immerzu Tritte gegen den Bauch, ständig klopfende Schenkel oder zustechende Sporen. Sie fallen ihr in den Rücken, zerren am Zügel, knallen die Gerte und alles muss das Pferd ertragen. Man stumpf ab. Man muss abstumpfen. Das Ganze hat so gar nichts mit Leben zu tun, sondern ist tagein, tagaus das gleiche. Je mehr sie daran denkt umso trauriger wird sie.

„Warum macht man das? Stellt euch mal vor, jemand sitzt auf eurem Rücken, zieht und zerrt an euch, wenn ihr das nicht versteht, gibt es Hiebe oder Tritte. Dann habt ihr Pause und mit Pech geht es danach weiter. Sonst steht ihr in der Box. Es lohnt sich nicht euch auf die Weide zu bringen, vielleicht braucht man euch ja nochmal. Mein Leben war Monotonie. Ich war kein Pferd, sondern eine Maschine.“

 

Hast du eine Botschaft für uns Menschen?

 

„Seht uns als das, was wir sind: Pferde. Wir brauchen eine Herde mit der wir frei über die Wiesen streifen können, mit der wir tags und nachts zusammensind. Wir wollen uns bewegen können und wir wollen das tun können, was unsere Art ausmacht. Es gibt so unendlich viele traurige Pferde, ich habe so viele Pferde mit leeren Augen gesehen, denen ihr Leid ins Gesicht geschrieben stand – und niemand hat es gesehen. Ihr lacht und wir weinen. Ihr sagt ihr liebt uns, aber ihr seht uns nicht. Schaut hin und seht uns mit dem Herzen an. Wenn ihr euch öffnet, dann verzeihen wir euch all eure Fehler. Wir sehen euch in all eurer Ganzheit, mit allem was euch ausmacht, was ihr seid und wir haben genug Liebe in uns, um immer wieder zu verzeihen, um immer wieder eure Last mitzutragen euch unsere Kraft zu geben.

Macht euch die Tiere nicht Untertan, sondern lebt mit ihnen. Informiert euch wirklich über sie. Ihr beraubt euch wundervollen Erfahrungen, wenn ihr nicht lernt in einer Gemeinschaft mit euren Tieren zu leben. Lehrt auch den Kindern den richtigen Umgang und Respekt. Traut euch diese Beziehung zu einem Tier einzugehen und ihr werdet reich beschenkt. Gleichzeitig beschenkt ihr das Tier mit dem Größten was es gibt: einem richtigen Leben, das es wert ist, gelebt zu werden.“